Grüße aus der Zukunft 04

Die Selberbauer – große Pläne, kleines Budget

Als Judith vorschlug Berlin zu verlassen und hierherzuziehen, war ich erst ziemlich skeptisch. Für mich war Wittenberge Provinz: Ein Kontext, dem ich mit 18 möglichst schnell und gründlich entflohen war. Berlin, das hieß damals für mich Freiheit, auch für alternative Lebensentwürfe. In den letzten Jahren hat sich mein Blick allerdings verändert, besonders seit der Geburt von Paul. Auf einmal stellen sich viele Fragen neu, und ganz ernsthaft: wie man leben will und seinen Alltag organisiert bekommt zum Beispiel. Ich hatte das Gefühl, da nicht mehr richtig mithalten zu können: Ich habe als Handwerkerin kein großes Gehalt, und meine billige Hinterhofwohnung war mit 45 qm viel zu klein um darin auf Dauer zu dritt zu wohnen. Auf dem Wohnungsmarkt hatten wir als lesbisches Paar mit Kind und wenig Geld aber ganz schlechte Karten, und am Ende wäre fast unsere Beziehung an dem Wohnproblem gescheitert.

 

Seit zwei Jahren sind wir jetzt hier in Wittenberge. Im eigenen Haus. Es ist natürlich nur ein kleines Haus, aber uns erscheint es im Vergleich natürlich riesig. Fertig ist es noch nicht, denn wir versuchen alles, was geht, selber zu machen. Besonders schnell sind wir nicht, denn wir müssen ja auch noch arbeiten nebenher, dafür sind wir aber gut im Improvisieren.Und wir sind ja nicht die einzigen, die das machen: Es gibt hier ja dieses tolle Netzwerk aus Leuten, die sich mit wenig Geld ein Heim schaffen und Projekte wie das Hand<>Werk. Da hilft man sich und bekommt super schnell Anschluss.

 

Davor hatte ich am meisten Angst: In meinem eigenen Haus zu sitzen, aber von den Nachbarn misstrauisch beäugt zu werden. Das Gegenteil ist der Fall: Während in Berlin alle genervt über die Neuen sind, die nur noch als Konkurrenz um Jobs, Kitaplätze und Wohnungen wahrgenommen werden, sind wir hier willkommen. Und wir finden das Konzept vom Kinderladen der Konsumgenossen super. Uns gefällt die Eigeninitiative und vor allem die Solidarität untereinander. Das ist ein Umfeld, in dem wir unseren Sohn gern aufwachsen sehen. Die Stadtstruktur ist kleinteilig, fast dörflich, aber das Lebensgefühl ist durchaus urban.

Schon Wirklichkeit

Wohnhaus Schreber – Erweiterung eines 70 qm Siedlungshauses für den Raumbedarf einer Familie, Amunt Architekten, Aachen 2011

 

Quinta Monroy – Sozialsiedlung zum Weiterbauen. Neben dem festen Kern gibt es einen Freiraum zur Selbstaneignung, Elemental, Iquique (Chile) 2013

 

Grundbau + Siedler – Experimentalbau im Kontext der IBA Hamburg, Mieterausbau in Rohgerüst, Bel Sozietät für Architektur, Hamburg 2012

 

Grüße aus der Zukunft  >>  Wittenberger Transformationsgeschichten

Alle Transformationsgeschichten wurden 2018 von subsolar* Architektur und Stadtforschung im Auftrag der Stadt Wittenberge entwickelt. Sie basieren auf den Erkenntnissen der Rahmenplanung Packhofviertel und aktuellen urbanen Transformationsprojekten.