Grüße aus der Zukunft 07

Gemeinsam statt einsam – Seniorenwohnen plus

Ich bin in den 50er Jahren hier im Viertel aufgewachsen. Damals sah das noch anders aus, und gerochen hat es … na ja, die Zellwolle halt. Konnte man nichts machen, außer die Wäsche reinholen, wenn es zu doll wurde. Unser Haus von damals war sehr einfach, mit Außenklo und Kohleöfen und im Winter froren immer die Leitungen ein. Wir waren daher überglücklich, als wir 1982 endlich in einen Neubau ziehen konnten. WBS 70, das war Komfort pur: Mit Fernwärme, Einbauküche, Wasser aus der Wand und drumherum Wiese statt grauer Industrie. Wenn da Freunde zu Besuch kamen, waren sie ganz neidisch. Ich hab damals beim Einzug gesagt: Hier müssen sie mich mit der Bahre wieder raustragen. In den letzten Jahren war das allerdings nicht mehr dasselbe Lebensgefühl: In einem halbleeren Haus zu wohnen, das macht einen regelrecht trübsinnig. Und die Wohnung war mir eigentlich auch zu groß geworden. Wahrscheinlich wäre ich trotzdem da wohnen geblieben, wenn die WGE nicht beschlossen hätte, das Haus abzureißen. Erst mal ein Schock! Aber dann haben sie mir eine kleine Wohnung in meinem alten Viertel angeboten, in einem alten Haus, das umgebaut wurde und jetzt voll auf die Bedürfnisse von Senioren angepasst ist. 16 kleine Wohnung gibt es darin und einen großen Gemeinschaftsraum.

 

Ich lebe ganz gern allein, aber wenn ich in Kontakt treten will, ist jetzt immer jemand da. Außerdem wird man ja nicht jünger: Bei mir steht demnächst eine Hüft-OP an. Da ist das schon sehr praktisch mit dem stufenlosen Zugang und den Nachbarn, die mir auch mal was vom Supermarkt mitbringen können. Oder mal einfach anklopfen, wenn man sich länger nicht mehr gesehen hat. Ist doch ein gutes Gefühl, das man gegenseitig aufeinander acht gibt. Ansonsten gibt es noch einen Wäschedienst und man kann auch Essen bestellen, wenn man mal keine Lust hat für sich alleine zu kochen.

 

Ich finde es auch sehr schön, mit so unterschiedlichen Menschen in einem Haus zu wohnen. Da gibt zum Beispiel Martin, der sich sehr nett um meine Katze kümmert, wenn ich mal bei meiner Schwester in Magdeburg übernachte. Und dann sind da Ute und Marlies aus dem 3. Stock, mit denen ich unseren „Bürger-Garten“ auf einer Brachfläche um die Ecke angelegt habe. Das ist zwar theoretisch ein Baugrundstück, aber bis jetzt wurde es noch nicht verkauft. So lange, haben die vom Bauamt gesagt, können wir das Gelände „zwischennutzen“, so heißt das heute. Wobei ich ja nicht denke, dass ich das noch erlebe, dass da einer bauen will – aber da mache ich lieber keine Prognosen mehr. Hier ist jedenfalls erst einmal genug Platz für Rosen, Ranunkeln und vieles mehr. Die dürfen sich alle pflücken. Vor allem aber ist unser Garten ein Treffpunkt geworden, wo man sich begegnet. Ich hätte das vor ein paar Jahren nicht für möglich gehalten, aber zurück ins Viertel zu ziehen war die beste Entscheidung meines Lebens.

Schon Wirklichkeit

Al Wig – Allein Wohnen in Gemeinschaft – Seniorenwohngruppe mit Gästewohnung, gemeinschaftlichen Aktivitäten, Unterstützung, Berlin 2005

 

Alte Schule Karlshorst  – Umbau eines ehemaligen Schulgebäudes zum genossenschaftlich genutzen Mehgenerationenhaus, Berlin 2007

 

Sanervakoti  –  Gemeinschaftswohnen von Studierenden, Senioren und psychisch erkrankten Menschen in ehemaligem Altenheim, Helsinki 2005

 

Grüße aus der Zukunft  >>  Wittenberger Transformationsgeschichten

Alle Transformationsgeschichten wurden 2018 von subsolar* Architektur und Stadtforschung im Auftrag der Stadt Wittenberge entwickelt. Sie basieren auf den Erkenntnissen der Rahmenplanung Packhofviertel und aktuellen urbanen Transformationsprojekten.