Ein.Laden – Leerstandsaktivierung
Seit meinem Auslandssemester in Japan bin ich verrückt nach Algen. Über 10.000 verschiedene Arten gibt es, viele davon sind wahnsinnig gesund. Vor 3 Jahren habe ich dann ein Unternehmen gegründet, das verschiedene Seegräser in pulverisierter Form importiert und vertreibt. Zu Beginn vom Küchentisch aus. Das einzig Gute daran: mein nicht vorhandener Arbeitsweg. Ansonsten habe ich schnell gemerkt: Selbständig zu arbeiten und alleine eine Geschäftsidee an den Start zu bringen, kann gerade zu Beginn eine sehr einsame Sache sein. Ich brauchte einen Ort, an dem ich konzentriert arbeiten, aber auch in Kontakt mit der Außenwelt treten konnte. Wenn man schon keine Kollegen hat, dann will man zumindest ein wenig Leben um sich haben.
Ich habe dann im Gleis Neun Co-working ausprobiert, aber ich kann mich im Großraumbüro nicht so gut konzentrieren. Und seit mein Unternehmen wächst, brauche ich einfach mehr Platz. Ich gehe aber immer noch gerne zu Veranstaltungen dort hin. Die Gründerabende sind klasse. Wenn man mal Unterstützung braucht, findet sich immer jemand, der mehr weiß, als man selber. Über meinen Laden bin ich dann eher zufällig gestolpert. Ich war bei der Haus-sucht-Mieter-Börse des Häuserheims. Eine freie Bürofläche hatten die nicht im Angebot, aber jede Menge Läden. Ich war erst skeptisch: Der Markt, den ich bediene, ist doch sehr speziell. Ich brauche weder Verkaufsfläche noch Laufkundschaft. Meine Kunden sitzen überall in Europa und kaufen über das Internet. Als Kind hab ich mir selber noch an Schaufenstern die Nase plattgedrückt und die Auslagen bestaunt, heute steht uns mit dem Internet ja die ganze Welt offen. Aber unter anderem deswegen schließen ja zur Zeit so viele Läden ihre Türen für immer, und die Städte sterben nach und nach aus. Warum also nicht mal etwas neues versuchen?
Schon mein Einzug hat mich mit meinen neuen Nachbarn verbunden. Die hatten 1000 Fragen: Wer bist du? Was passiert hier? Wie, du willst ernsthaft mit Seetang Geld verdienen? Ich hätte nicht gedacht, dass diese leeren Läden die Menschen so beschäftigen. Viele haben mir gesagt, dass es ihnen ganz egal ist, was ich da mache, Hauptsache die Fenster sehen nicht mehr so tot aus. Jetzt ist mein Schaufenster hell und lebendig, und ich habe angefangen, die Algen auch zu Netzen, Matten und Deko-Elementen zu verarbeiten. Ich finde es toll, dass mich bei meiner Arbeit nur ein dünnes Glas von Straße und Passanten trennt. Da kommt es immer wieder vor, dass man ein paar Worte wechselt. Mittlerweile öffne ich sogar einmal im Monat ganz offiziell die Tür und lade zu Algensmoothies und Gesprächen ein. Daraus sind schon viele Ideen entstanden. Mein Traum wäre es, wenn auch die anderen Läden eine neue Nutzung fänden. Die Wilhelmstraße als Start-Up-Meile: Das wäre mal eine positive Veränderung mit Strahlkraft! Vielleicht sogar ein Alleinstellungsmerkmal. Und Läden gibt es hier wirklich genug.Schon Wirklichkeit
Lichtblick Ludwigstraße – „LICHT AUS“ Aktion zur IBA Stadtumbau 2010, Bürgerbeunruhigung und Einladung zum Mitgestalten, Köthen 2010
Süntellädchen – Dorfladen für den Verkauf regionaler Produkte, Neubau mit Strohballendämmung durch Bürger*inneninitiative, Flegessen 2016
Museum öffne dich! – dezentrale Ausstellung in Schaufenstern von leerstehenden Ladenlokalen, Museum Wustrow, studio achtviertel, Wendland 2015
Grüße aus der Zukunft >> Wittenberger Transformationsgeschichten
Alle Transformationsgeschichten wurden 2018 von subsolar* Architektur und Stadtforschung im Auftrag der Stadt Wittenberge entwickelt. Sie basieren auf den Erkenntnissen der Rahmenplanung Packhofviertel und aktuellen urbanen Transformationsprojekten.